Beim schwäbischen Bestatter

 

Ent-Hüllungen und andere Gedanken

 

Im letzten Jahr habe ich ein paar Tage Praktikum beim Bestatter in meinem Heimatort gemacht.

Ich kenne ihn, also den Bestatter, seit meiner frühesten Kindheit. Berufsbedingt hat(te) er immer wieder auch mit meinen Eltern zu tun. (Für diejenigen, die bisher noch keinen Blog von mir gelesen haben: Meine Eltern leben beide noch. Mein Vater ist Pfarrer, meine Mutter Kirchenmusikerin.)

Seine Eltern haben die Mutter meines Vaters bestattet. Man kennt sich also recht gut.

 

Dank der schwäbischen Sprache waren für mich die ersten Bestattungs-Informationen tatsächlich leichter aufzunehmen. Ich bin froh diesen Dialekt sprechen zu können, auch wenn ich nicht immer alles verstehe, was mir der waschechte Schwabe entgegenbringt. Diesen Dialekt bei "offizielleren" Situationen ins Hochdeutsche umwandeln zu können hat viel Geld gekostet (siehe Schauspielunterricht).

 

Da war ich also bei "meinem" schwäbischen Bestatter (nennen wir ihn Hans), um die ersten Eindrücke in einem Beruf zu sammeln, der mich schon immer gereizt hat. Hans ist ein toller in sich ruhender Mensch und ich konnte ihn wirklich alles fragen was mich um diesen Beruf herum interessiert. In diesen paar Tagen habe ich wahnsinnig viel lernen dürfen.

Gleich an meinem ersten Morgen durfte ich bei einer hygienischen Versorgung teilnehmen, d.h. man wäscht den verstorbenen Menschen und kann ebendiesen mit ein paar Handgriffen "schön" machen. Meistens geht es um das Schließen des Mundes oder der Augen. Bei einem Unfall oder Suizid muss schon mal tiefer in die "Kiste", also die "Handwerkskiste" gegriffen, also in die... jedenfalls muss man sein Handwerk beherrschen.

 

Die Dame, die wir aus dem Kühlraum herausholten, kannte ich sogar entfernt - von früher. Sie war ein Gemeindemitglied meines Vaters und nun mit knapp über 90 abgereist.

Es ist gewöhnungsbedürftig jemanden anzufassen, der soooo kalt ist. "Im Kühlraum isch's o'gfähr so kald, wie in em normale Kühlschrank d'hoim." sagte Hans.

 

Die Totenstarre ist nicht die ganze Zeit vorhanden. Nach 10-12 Stunden löst sie sich beim Verstorbenen etwas auf. Dennoch haben wir zunächst die Arme der Dame hin und herbewegt, um eine leichte Beweglichkeit bei ihr herzustellen und sie besser versorgen zu können. Ich durfte ihren Körper waschen und die Haare fönen.

Es machte mich wahnsinnig demütig neben diesem alten Körper stehen und diesen anfassen zu dürfen, der schon einiges erlebt hatte und nun in unsrer Obhut lag.

Um das Austreten weiterer Flüssigkeiten zu verhindern, gibt es Handgriffe, die mich auf nüchternen Magen doch kurz (im wahrsten Sinne des Wortes) aufhorchen ließen. Darauf geh ich vielleicht später mal ein - jetzt bleib ich erstmal bei den etwas leichteren, schwäbischen Tatsachen.

 

An einem Nachmittag kam der Sargbauer seines Vertrauens vorbei (nennen wir ihn Wolfgang), um seine "neueschden Modelle" auf seinem "iPädle" zu zeigen. Wir setzten uns für die Präsentation zu dritt in ein Zimmer - umgeben von Ausstellungsurnen in all möglichen Farben und Formen. Im etwas größeren Nebenzimmer waren einige Särge aufgestell: Holzsärge (Fichte, Eiche, Zirbe,...), lackierte Särge, bunte, bemalte, mit musikalischen Mustern, elegant in schwarz, kurze schwarze, normale,...

 

Es war gleich eine sehr herzliche und warme Atmosphäre für mich und irgendwie gar nicht seltsam, Wolfgangs neueste Sarg-Kreationen mit einem Wisch anzuschauen. Er erklärte die unterschiedlichen Holzmaserungen und Abrundungen.

Mich hat schon immer brennend interessiert, warum man überhaupt einen Sarg bei der Verbrennung mitbenutzen muss.

Und so fragte ich die beiden: "Kann man sich d'Sarg denn net schbara?"

 

"Sie hent doch sicherlich scho a Mole a Ende (eine Ente) in Ofa g'schoba..." begann Wolfgang...

"Noi, i bin Wegetarierin!" -

"Oh, ah... ha, dann kennet Se vielleicht jemand der scho a Mole a Ende in Ofa g'schoba hot."

"Ja." -

"Also, wenn Se etzat a Ende in Ofa schibet, dann wird die Haud von derra End' nach kürzeschder Zeit braun und knuschbrig und des Fedd goht an d'Boda von dem G'fäß, wo die End' drin isch...."

Ich nickte.

"Und so isch's au bei em Körper, wenn der ohne dem Sarg in d'Verbrennungs-Ofa g'schoba wird. Erscht mit dem Sargholz drumrum kann a optimale Verbrennung schdattfenda."

Bei dem Wort "optimale" bewegte Wolfgang seine Hand zur Anzahl der Silben in diesem Wort.

 

Ich war schwer beeindruckt - auch von den Erzählungen vom Besuch bei der Bestatter-Messe, die einige Wochen zuvor in Bremen stattgefunden hatte. 

Eine sogenannte "Öko-Bestattung" fand großes Interesse bei allen Beteiligten. Dabei wird der tote Körper zunächst schockgefroren und dann mit Hilfe von Stickstoff in ein Minus 196 Grad kaltes Bad getaucht. Der Körper wird daraufhin brüchig wie Glas und zerfällt durch Schallwellen und Erschütterung in eine pulverige Substanz. Die letzten Wasserreste werden in einer Vakuumkammer herausgezogen.

 

Am nächsten Tag brachten wir einen jungen Mann zur Pathologie nach Ulm. Der Anfang 20-Jährige hat sich ein paar Tage zuvor selbst das Leben genommen. Als wir ihn auf den Tisch der Pathologie legten und ich im zu Füßen stand, fingen meine Gedanken an sich zu melden, mein Mitgefühl... Was ist bei diesem jungen Mann so unglaublich schief gelaufen, dass er diesen Weg für sich gewählt hat?

Er sah durchtrainiert aus, hatte Tattoos an ein paar Körperstellen... Wieso? Also nicht: "Wieso hatte er Tattoos?", sondern das andere Wieso?

Ich konnte die Spuren des Seils am Hals erkennen. Die Menschen der Pathologie mussten abklären, ob der Suizid auch wirklich ein eigens gewählter war.

Nach 1 1/2 Stunden konnten wir ihn wieder abholen. Wir kamen gerade an, als der tote Körper abgewaschen und abgetrocknet wurde, bevor wir ihn wieder auf unsere Trage legen konnten. Wie in Filmen sonst war auch er u.a. am Brustkorb zugenäht - Reißverschluss zu und zurück zum Auto mit ihm. Auf dem Weg zum Auto kam uns eine Mitarbeiterin des Krankenhauses entgegen, die sich vor lauter Entsetzen des Anblicks auf den vorbeirollenden schwarzen Sack hinter einer Tür versteckte. Sie machte einige Kreuze vor der Brust und kniff dabei die Augen zu.

 

Ich hätte ihr gern gesagt, dass sich unter dieser schwarzen Hülle nur noch eine weitere Hülle befindet, dass da kein Mensch mehr drin ist - zumindest nicht das, was uns einen Menschen fühlen und lieben lässt.

Diese Energie ist nicht mehr da.

Und vom Physikunterricht wissen wir: Energie geht niemals verloren, sie kann immer nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden.

 

Das ist für mich ein im wahrsten Sinne des Wortes begreifbarer Beweis dafür, dass der Rest des Menschen, also das, was ihn fühlen und lieben lässt, abgereist ist.

Wohin?

 

Tja, wenn wir das mit absoluter Sicherheit in diesem Leben sagen könnten, wäre das Leben in meinen Augen vielleicht nur noch halb so anstrengend. Aber gleichzeitig auch weniger überraschend, wild und leidenschaftlich!

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Kommentare: 1
  • #1

    Evelyn (Donnerstag, 19 November 2020 22:20)

    Interessanter Vergleich mit der Ente im Ofen, nun erschließt sich mir auch der Sinn dahinter.

    Ein toller Blog meine liebe Miriam!