Die Bestatterinnen werden losgelassen und eine Antwort gefunden
Gemeinsam mit meiner langjährige Nachbarin und Freundin Sonja sitze ich gerade daran, ein Theaterstück zu entwerfen.
Titel:
"Die Bestatterinnen - wir reden jedes Thema tot.
Heute: Sterben - warum nicht?"
Es brennt uns bereits seit Jahren unter unseren kurzen Fingernägeln ein Stück über Tod und so auf die Bühne zu bringen. Das Ganze auf die einzige und nicht-artige Art und Weise, wie sie für uns beide am Stimmigsten ist.
"Nochbrä" und ich haben mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt voller geteilten Liebeskummer, geteiltes Leid, Lachen und miterlebter Tode (anderer) hinter uns. Durch die teilweise erdrückend schweren Zeiten haben wir uns großartig gewuppt. Danke dafür!
Worum es in diesem Stück gehen soll werdet Ihr hoffentlich spätestens im nächsten Jahr sehen.
Fest steht: es wird kein Tabu geben - todsicher.
Ich erinnere mich noch sehr genau an einen der legendären Abende gemeinsam mit Sonja, ihrem Küchentisch und einem oder zwei Augustiner darauf.
Ich war kurz zuvor spontan in ihre 1-Zi. Wohnung eingezogen, nachdem meine damalige Beziehung so unmöglich schmerzhaft auseinander ging. Ich wusste wirklich nicht
wohin mit mir.
Wir saßen regelmäßig an ihrem Tisch, philosophierten über das Leiden und die Liebe und sangen dabei immer wieder improvisierte Lieder - sie bastelte Texte aus der Hüfte und ich spielte Gitarre dazu. Es war großartig und heilsam.
Ich konnte so sein wie ich mich fühlte - immer wieder geschüttelt von Weinkrämpfen und mich überwältigender Traurigkeit. Sie konnte so sein, wie sie war - verrückt und kreativ sprudelnd mit all ihrem Sein.
So entstand einer unserer ersten Hits "Lass los" - ich schwöre, sobald dieses Lied bei "Die Bestatterinnen" auftauchen wird, werden alle spätestens nach der 2. Wiederholung mitsingen.
Hier schon mal der Text der 1. Strophe zum Mitschreiben:
"Lass los - lass es gehn. Lass los - es war so schön.
Lass los - lass es gehn. Lass los - es war so schön."
Ganz ehrlich?
Diese Strophe beinhaltet fast alles was man auf dieser Erde wissen muss.
Loslassen. LOS LASSEN. LASS LOS!
Wenn ich mir das genau vor Augen führe, dann spüre ich bis unter meinen Herzmuskel, dass es im Leben immer wieder darum geht. Etwas los lassen.
Egal was... Beziehungen, die vermeintlich große Liebe, Freundschaften, mein Lieblings-T-Shirt, Zettel, die man sich in der Schule hin- und hergeschmissen hat, die 12 Jahre alten Osterglocken-Zwiebeln meiner Oma, die neben ihrem Sterbebett standen, unscharfe Fotos vom Schullandheim,... oder schlichtweg das Essen, das ich heute oder gestern zu mir genommen habe!
Es muss alles verdaut und losgelassen werden.
Für mich war das Loslassen früher wirklich existenziell schlimm und unvorstellbar. Ich meine ich habe es bereits schon mal erwähnt, aber ich schreib es gerne nochmal: Abschied nehmen am Bahnhof, von einem schönen Spieltag mit meinen besten Freunden, von meinen Eltern, wenn ich in den Kindergarten ging,... es war für mich die absolute Hölle!
Mein ganzer Körper tat weh und teilweise bekam ich keine Luft mehr.
Einmal habe ich mich so sehr in den Abschiedsschmerz hineinmanövriert, dass ich auf dem Weg in die Schule einen Zwerchfellkrampf bekam. Wer so etwas schon mal erlebt hat, weiss, wie schlimm es ist, keine Luft mehr zu bekommen und das Gefühl zu haben, zu ersticken, obwohl man doch atmen will. Damals war ich 6.
Und doch: ich war mir immer sicher, auch als Kind, das es wichtig ist, sich diesem "Problem" zu stellen. Nur wie?
Freiwillig sich den v.a. seelischen Schmerzen ausliefern?
Sich verlieben, sich voll und ganz dem Gegenüber öffnen und nach ein paar glücklichen Zeiten doch wieder getrennt sein, Liebeskummer durchleben, Menschen um mich herum verlieren, als KlinikClown ins Krankenhaus zu schwerstkranken Kindern und Erwachsenen gehen, im Hospiz Sterbenden die Hand halten, als Clown ohne Grenzen in Kriesengebiete armen, schwersttraumitiserten Menschen begegnen, in deren Augen sehen und das Leid nur ansatzweise erahnen, welches hinter ihnen liegt....
Warum sollte ich mich dem allen Ernstes freiwillig aussetzen?
V.a. machen es so viele andere doch auch nicht unbedingt... und leben eventuell sogar glücklicher.
Also warum mache ich das?
Meine Antwort darauf hat ein paar Jahre gedauert, doch habe ich endlich eine gefunden:
WEIL ES SICH LOHNT!
Ich schicke voraus, dass diese Antwort nicht für jede/n passt. Umso mehr passt sie bei mir - und das zu 1.899 %.
Je mehr ich mich dem Leiden und dem Schmerz dieser (und damit natürlich meiner eigenen für mich wahrgenommenen) Welt stelle, desto mehr lerne ich über mich selbst. Und zwar ganz, gaaaaanz tief drinnen.
Mittlerweile spüre ich jede v.a. emotionale Regung in mir sehr deutlich.
Mittlerweile weiss ich schneller als früher, was ich WIRKLICH will und wo meine Grenzen liegen.
Ich trage Selbstwertgefühl und Mitgefühl für mich in mir, dass es kaum noch Situationen gibt, die mich ernsthaft ins Schwanken bringen.
Die depressiven Phasen meines Lebens sind verschwunden, die Neugier auf das Leben und den Tod nehmen jeden Tag zu.
Ich kann anderen schneller verzeihen - ich bin schlichtweg glücklich.
Es hat mich viele Jahre gekostet zu erkennen, dass es immer Menschen geben wird, die es schwer haben einen Zugang zu sich zu finden.
Doch was ich in den mittlerweile 15 Jahren als Clown in Krisengebieten oder als Hospizhelferin gesehen und erlebt habe macht mich so unsagbar glücklich!
Das liest sich in der ersten Sekunde schlimm.
Ich meine damit natürlich nicht das Leiden, den Tod oder das Sterben per se, sondern vielmehr Folgendes:
Wir Menschen sind in Krisenzeiten alle gleich.
Egal, ob im Hospiz ein Geschäftsmann, im Krankenhaus eine Putzfrau oder ein Kind liegt, in Syrien ein verletzter Soldat oder im Flüchtlingslager ein verwaistes Kind vor mir steht, egal, ob mein Nachbar seine Frau anbrüllt oder die Kassiererin meine frisch gekaufte Ware übers Band rotzt:
JEDE/R will geliebt, gesehen und wertgeschätzt werden.
JEDER MENSCH!
JEDES LEBEWESEN!
Solange es "Mensch" gibt, wird es darum gehen.
Solange sich Mensch den schwierigen Aufgaben im Leben nicht stellt, sich nicht wirklich mit sich selbst und seinen Gefühlen
auseinandersetzt, wird Mensch unglücklich, unzufrieden und irgendwann nur noch von Panzern umgeben sein - innerlich und äußerlich. Und von diesem Menschen aus werden Bomben in die Umwelt
geschossen, Verletzungen losgetreten, die im Grunde nicht der Umwelt gelten, sondern dem Bombenleger selbst. Am Anfang wird "nur" das Umfeld verletzt. Und das soll/muss leiden. Meistens schießt
das Umfeld zurück und somit leben wir im Krieg.
Sobald Mensch wirklich mit seinem ganzen Sein liebt, wird dieser die Mitmenschen um sich herum mittragen und auffangen können.
Manchmal findet man den Weg zu sich erst über den "Umweg" anderen zu helfen. Das liegt in unsrer Natur.
Und das wird Mensch merken, spüren und leben, sobald Mensch immer wieder Leid er- und überleben wird.
Das ist nicht mal meine Hoffnung, sondern vielmehr meine Erkenntnis aus jahrelanger erlebter Erfahrung in wirklich schweren Krisenzeiten.
Just in diesem Jahr kam das großartige Buch "Im Grunde gut" von Rutger Bregman heraus, in dem es genau um diese Erkenntnis geht - nur noch viel fundierter beschrieben und erforscht.
Ich hoffe, dass mein Buch über meine Erfahrungen irgendwann genau neben seinem stehen wird.
Bregman - Brenner.
Nicht ganz unmöglich.
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